Karl Diehl

»Volkswirt, * 27.3.1864 Frankfurt/Main, † 12.5.1943 Freiburg (Breisgau) (evangelisch)

D. studierte in Berlin, Jena und Halle, wo er 1888 promovierte und sich 1890 als Privatdozent habilitierte. Daselbst 1893 zum außerordentlichen Professor ernannt, erhielt er 1898 eine Berufung als ordentlicher Professor nach Rostock, 1899 nach Königsberg und 1908 nach Freiburg (Breisgau). Neben Ausübung seines Lehramts entfaltete er eine staunenswerte schriftstellerische Tätigkeit von bedeutendem Umfang. Schon in seiner Jugend mit den Theorien des französischen Sozialisten Proudhon beschäftigt, hat er sich zeitlebens mit den Problemen des Sozialismus, Kommunismus und Anarchismus befaßt und galt auf diesem Gebiet im bürgerlichen Lager neben Werner Sombart als bedeutendste Autorität. Wie Franz Oppenheimer, Götz Briefs und Alfred Amonn hat sich auch D. mit dem Ricardoproblem befaßt und einen umfangreichen Kommentar zu Ricardos ›Grundgesetzen der Volkswirtschaft und Besteuerung‹ (1905, 1921/22) geschrieben, worin er in Ricardo keinen Epigonen von Adam Smith, sondern einen völlig originalen Denker erblickt, der erst eine klare Theorie des Wertes, Preises, Zinses, Lohnes, Profits und der Rente entworfen und die Bewegungstendenzen und gegenseitige Bedingtheit von Arbeitslohn, Profit und Rente dargelegt habe. Während des ersten Weltkrieges den wirtschaftlichen Erfordernissen der Zeit aufgeschlossen, verfaßte er nach dessen Ende sein umfassendes System der Theoretischen Nationalökonomie, worin er die Summe seines reichen Gelehrtenlebens niederlegte. Mit der jüngeren historischen Schule bekannte sich D. zu einer empirisch-realistischen Methode; er war ein Gegner der reinen oder exakten Nationalökonomie, welche die Wirtschaftsvorgänge auf allgemein gültige absolute Gesetze gründet. Die von D. vertretene voraussetzungslose ›sozialrechtliche‹ Theorie, die sich auf empirische und konkrete Tatsachen stützt, geht davon aus, daß alle wirtschaftlichen Erscheinungen aufs engste mit der jeweiligen Wirtschaftsverfassung verknüpft sind. Da die Wirtschaftsverfassungen und Wirtschaftsformen fortwährenden Wandlungen unterliegen, die ihren Ausdruck in den veränderten rechtlichen Grundlagen der Wirtschaftsordnung finden, können nach D. auch keine allgemeinen, dauernd gültigen Wirtschaftsgesetze aufgestellt werden. Den ihm von seinen eigenen Schülern entgegengebrachten Vorwurf, daß dies eine Preisgabe der Theorie bedeute, nahm D. gern in Kauf, mit der Bemerkung, daß die dabei gewonnenen Resultate zu richtigeren Erkenntnissen führten als die so oft geübte abstrakt-deduktive Methode.«

Baxa, Jakob, in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 644 f.

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